Lydia Jakobi und Sokrates
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Asyl: Verabschiedet sich die EU von ihren Werten?

Das große Ganze - der gesellschaftskritische Podcast · 05.07.2023 · 43 Min.
Lydia Jakobi und Sokrates

Die EU-Innenminister haben einen Asylkompromiss auf den Weg gebracht. Geplant ist eine rigidere Migrationspolitik an den Außengrenzen, inklusive haftähnlichen Bedingungen in Aufnahmeeinrichtungen und Asyl-Schnellverfahren. Befürworter sprechen von einem „Meilenstein“ und einer „historischen Einigung“, Hilfsorganisationen dagegen von „menschenfeindlicher Politik“. Auch Deutschland trägt den Kompromiss mit. Die Einigung fällt in die Zeit des Untergangs eines Flüchtlingsbootes vor der griechischen Küste, bei dem wohl Hunderte Menschen gestorben sind. Seit 2014 sind Schätzungen zufolge mehr als 26.000 Menschen auf dem Weg über das Mittelmeer ertrunken.Darüber spricht Lydia Jakobi in dieser Folge mit Naika Foroutan. Sie ist Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung sowie Professorin an der Humboldt-Universität in Berlin. Als Essayistin schreibt sie außerdem über die postmigrantische Gesellschaft. Und sie hat eine eigene Fluchtgeschichte. Foroutan sagt, der Asylkompromiss stehe Europa nicht gut zu Gesicht: „Die normative Selbsterzählung Europas hat große Brüche bekommen.“ Europäische Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Frieden und freien Grenzen stünden zur Debatte, wenn Europa nun als Festung gebaut werde. Die EU erliege einer Illusion, dass mit einer rigideren Grenzpolitik der Migrationsdruck und die Zahl der Toten im Mittelmeer sänken. Und sie mache sich von Diktatoren in ihrem Umfeld abhängig. Die geplanten Aufnahmeeinrichtungen bezeichnet sie als „Gefangenenlager“. Foroutans Fazit zum Asylkompromiss: „Ein naiver Plan.“ Sie plädiert für eine Alternative, einen gewagten Plan mit offeneren Grenzen.Jakobi und Foroutan sprechen außerdem über die deutsche Asylpolitik der vergangenen Jahre, die aktuelle Rolle Polens und Ungarns und die Suche nach einer besseren Lösung. Foroutan sagt, Europa verliere viel, wenn es Migration nicht mehr zulasse. Migranten brächten auch Potenziale in jene Länder, in die sie gingen. Und Foroutan vermutet, dass auch weniger der dringend benötigten Fachkräfte kommen, wenn Europa sich Migration von Geflüchteten so massiv verschließe.