Buchcover "Geschichte der Zärtlichkeit: Die Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud " von Johannes Kleinbeck
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"Geschichte der Zärtlichkeit": Wie wir den einvernehmlichen Sex erfunden haben

SWR2 Kultur aktuell · 01.06.2023 · 4 Min.
Buchcover "Geschichte der Zärtlichkeit: Die Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud " von Johannes Kleinbeck
Erscheinungsdatum
01.06.2023
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"Konsensuell" sollen sexuelle Begegnungen stattfinden, ohne Zwang oder Machtmissbrauch. Was eine Errungenschaft der feministischen Moderne zu sein scheint, hat tiefere und problematischere Wurzeln, erklärt Johannes Kleinbeck in seinem neuen Buch. Es scheint so klar: Das ausdrückliche Ja zum Sex ist die Voraussetzung, um ungewollten Begegnungen klare Grenzen zu setzen. Das Prinzip "Ja heißt ja" ist in Spanien sogar Gesetz geworden, auch wenn wegen juristischer Lücken zuletzt einige Straftäter freikamen. Doch hinter dem scheinbar einfachen Prinzip des Konseses steckt eine doppelbödige Geschichte. Denn entstanden ist die Vorstellung, dass Sex in der Ehe nicht mehr verpflichtend, sondern frei sein sollte zwar aus dem Gedankengut der Aufklärung. Doch wo der Rechtsrahmen wegfiel, entstanden an seiner Stelle neue pädagogische und ästhetische Leitplanken, das beschreibt Johannes Kleinbeck in seiner "Geschichte der Zärtlichkeit". Anstatt durch harte Regeln festgelegt, musste die zur Fortpflanzung nötige "Zuneigung" der Eheleute zueinander nun auf andere Art und Weise sichergestellt werden: Ein Nährboden für die Herausbildung von scheinbar natürlichen Geschlechterrollen wie die der zärtlichen Weiblichkeit. Zärtlichkeit, die aber auch verunsichert: Kant, Rousseau und später Freud verzweifelten an der Mehrdeutigkeit von zwischenmenschlichen Gesten und der Frage, wie sich Geschlechterverhältnisse - sowohl privat wie auch gesamtgesellschaftlich - regeln ließen. Kleinbecks Sachbuch öffnet den Blick auf die Schattenseiten des Konsenses und die zwiespältigen Ursprünge der bürgerlichen Ehe - ohne dabei ein Abgesang auf die Zärtlichkeit und den Konsens zu sein.